Montag, 6. Mai 2013

Achao!

Massentourismus - allein bei dem Wort läuft es mir schon kalt den Rücken herunter. Klar, vor allem wir Deutschen lieben ihn - den preiswerten, warmen und leberschädigenden Wochenausflug in's 17. Bundesland "Balearien". Beim besten Willen, könnte ich mir heutzutage kulturelle Ohrfeigen an unsere spanische Freunde wie die "Schinkenstraße" nur in absolut benebeltem Zustand antun - aber das ist man dort ja sowieso.

Seitdem ich das Backpacken für mich entdeckt habe gelten für mich andere Werte: In entlegenere, unbekanntere Gebiete vordzuringen, interessante Leute kennenzulernen (und nicht Siggi aus Castrop-Rauxel), gemeinsam zu entdecken und über die Schönheit und Diversität unseres Planeten zu staunen.

Unter diesem Stern sollte auch der heutige Ausflug hinein ins chilotische Insel-Archipel stehen. Noch wenig wusste ich davon, was mich am späten Nachmittag erwarten sollte...aber von Anfang an:

Die nur kurze warme Sommerzeit wird auf Chiloé generell gründlich ausgenutzt. Den ganzen Februar werden auf den verschiedensten kleinen Teilen der Inselgruppe Volksfeste veranstaltet. Ein jenes sollte auch diesen Sonntag auf dem kleinen Eiland "Quinchao" in dessen Hauptstadt "Achao" stattfinden. Mit zwei anderen Frauen, die wir am Vorabend kennengelernt hatten, ging es mit dem Bummelbus also auf Reise durch's Archipel. 

Nach dem Übersetzen mit der Fähre (diesmal nur knappe 2 Minuten) begrüßte uns alsbald das Ortsschild Achaos, an welchem wir den Bus verließen um die bombastische Sicht über die Stadt, das Archipel und im Hintergrund die Andenkordillere zu genießen.




Ein etwas ausgetretener Pfad führte uns vom Hügel hinab hinein in das 3000 Seelen-Dorf. Bevor wir uns jedoch in die wütende Feier-Menge stürzen wollten, entschieden wir uns zuerst einen kleinen Abstecher zum Strand zu machen.


"Der Pfad,..."


"...Vorfahrt gewähren! auch auf Chiloé..."


"...der Strand bei Ebbe..."


"...und meine Wenigkeit mittendrin!"

Langsam aber sicher fragten wir uns durch das kleine Dörfchen in Richtung Volksfest. Vorbei kamen wir hierbei unter anderem am universell chilenischen "Plaza de Armas" der Stadt mit einer weiteren, prächtigen Holzbau-Kirche - auch eine der Weltkulturerbe-Kirchen des chilotischen Archipels.




Leider war der Zutritt zu diesem imposanten Bauwerk für das allgemeine Fußvolk an diesem Tag verboten - sehr komisch für einen Sonntagnachmittag!

Wir gelangen schließlich auf das kleine, aber durchaus feine Festchen, dass direkt hinter dem Busterminal auf einem offenen Kiesgelände veranstaltet wurde. Der Geruch von leckerem, saftigem, gegrilltem Fleisch kitzelte sofort meinen Geruchsnerv - dies war ein Fest zu Ehren des sagenhaften Chiloé-Lammes (ich nenne es mal so)!

Wo das Auge hinblickte saßen also rustikale Chiloten an langen Holzspießen, auf denen die kleinen Schäfchen munter herumbrutzelten. 



Wer jedoch ein kulturelles Fest unter Einheimischen erwartet hatte - so wie meine naive Wenigkeit - wurde schnurstracks von einem fetten amerikanischem Tourist aus seinem Wunschdenken gerissen, der die Tonverarbeitungs-Darbietung einer Chilotin mit "Haha, looks like she's processing her own freakin' excrements" kommentierte - der Preis der ignorantesten Touristen geht (bis jetzt) zuerst einmal an meine Freunde aus dem "Land of the Free".

Wir fanden einen Sitzplatz und bestellten 4 Lammteller und ein paar Bier. Die knapp 1 Stunde Wartezeit wurde von meinem kleinen gegrillten Freund jedoch bestens entlohnt - köstlichste Cuisine!


Nach dem köstlichen Schmauß begann, wie man an der anströmenden Menge an Touristen bemerken konnte, im Hintergrund eine weitere traditionelle Darbietung. Dieses Mal wurden gepflückte Äpfel in einem antiken "Apfel-Wolf" gemahlen, damit sie später für die traditionell chilenische "Chicha" benutzt werden können (Wein-Bowle: Weißwein mit Apfelstückchen). 

Über ein großes Rad, das von zwei Einheimischen betätigt wurde, war ein Seil gespannt, das die Mahl-Maschinerie am anderen Ende in Bewegung brachte. Mein persönliches Highlight war jedoch die gesichtsausdruckslose alte Chilotin, die wie apathisch einen Sack Äpfel nach dem anderen geübt in den "Apfel-Wolf" kippte - aber naja, ich würde auch so gucken, wenn ich jeden Tag dumme Amerikaner entertainen müsste, die mir danach noch ganz verblüfft erzählen würden, dass man Apfelsaft in den USA ja ganz einfach im Wal-Mart kaufen kann...




Wir machten uns danach wortwörtlich "vom Acker" und wollten die sehr angenehme Sonne noch bei einem Bierchen am Strand genießen. Gesagt, getan kamen wir 10 Minuten später mit etwas flüssigem Proviant an den stadteigenen weißen Sandstrand...und ich konnte meinen Augen und Ohren kaum glauben!

In Sekunden zerstörte sich mein Bild der chilotischen Idylle: Bierdosen, Plastik, Papier - Müllhalde traf die Beschreibung dieses "Strandes" besser als dessen karibische Norm-Vorbilder. Überall wimmelte es von besoffenen Personen, die es sich unter dem Steg als Schlafplatz gemütlich gemacht hatten - es wurde auf höchstem Niveau gepöbelt und die restlichen Leute bestmöglich belästigt.

Diagnose positiv - dieser Ort war von chilenischen "Mochilenos" befallen. "Mochilenos" sind meistens Obdachlose, die auf der Suche nach Arbeit per Anhalter durch das ganze Land fahren; jedoch gibt es auch die negative Form des "Saison-Mochilenen" - und diesen Strand hatte es ganz schlimm erwischt. Meine Toleranzgrenze ist seit diesem Jahr stark gestiegen, vor Allem weil ich ja genau mit diesen Menschen arbeite. Das Gastspiel, das jedoch die "revolutionäre Jugend" hier auf Quinchao abgab, war absolut unterstes Niveau. Schade, dass genau diese Leute die Protestbemühungen der gebildeten Chilenen negativ beeinflussen - indem sie ständig negativ auffallen; Sei es so wie auf Quinchao oder als Aggressor bei friedlich angelegten Märschen. Als Politiker oder ganz normaler Polizist würde ich diese unverschämten Ahnungslosen auch nicht für ganz voll nehmen.




Der Aufregung jedoch genug, immerhin hatte ich natürlich eh keine Chance gegen knapp 200 besoffene Rebellen. Es ging zurück zum kleinen Busterminal und per Fähre zurück auf die Hauptinsel - dabei half die Abendsonne einiges meinen inneren Wutanfall ein bisschen zu stillen.



Hoffentlich würde der nächste Tag wieder ein Chiloé-Tag werden; das heißt Idylle, Landschaft und menschliche Freundlichkeit!

Un abrazo,

Niclas

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