Dienstag, 2. April 2013

Guck mal, was ich habe!

Ich weiß schon was ihr denkt: Was treibt dieser Typ dort drüben eigentlich? Erst macht er sich für eine Woche vom Acker und danach kloppt er sich auf diversen Familienfesten die Birne voll - wann arbeitet der denn mal?

Die Frage ist durchaus berechtigt und ja, ich musste mich so langsam auch mal wieder auf meine eigentlich Funktion hier in Talca fokussieren: Rentner entertainen und Kleinkinder zum Lachen bringen.

Neben den alltäglich beliebten Aktivitäten wie Bingo, Malen oder Windeln vollkacken durfte ich diese Woche die Kindergärtnerinnen in einer Runde ihrer "Hausbesuche" begleiten. Hierbei überprüfen die "Tias" entweder Familien bereits eingeschriebener Kinder auf deren Lebensumstände, oder interviewen Aspiranten um Notwendigkeit und Seriosität sicherzustellen.

Auf unserem Plan standen 3 Familien, die ihre Kinder gerne in unseren Kindergarten stecken würden. Meistens ist hierbei der Hintergrund, dass die Mutter entweder tagsüber studieren will (im besten Fall) oder versucht, neben ihrem Mann noch eine zusätzliche Arbeit zu finden. Ich werde euch den Fall vorstellen, der mir die meisten Fragen aufgeworfen hat:

Wir gehen die Treppen hoch in's dritte Stockwerk eines Sozialwohnung-Blockes nördlich unserer Arbeitsstelle inmitten des "Las Americas Barrio" - dem ärmsten Viertel der Stadt. Eine junge Frau, nach meinen Schätzungen nicht älter als 20 Jahre, öffnet uns die Tür. Schon nach drei Schritten in die Wohnung bereiten die ersten Ungereimtheiten meinen Schaltkreisen Probleme: Die Wohnung ist top ausgestattet - neue Sessel, ein schöner Teppich auf dem ein grüner Designertisch steht, eine fette Anlage aus der leise Musik dudelt und in der Mitte des Raumes thront als Highlight ein niegel-nagel-neuer Plasma-Fernseher von Sony. Gut, denke ich mir, vielleicht gibt es einfach noch finanzielle Zuläufe von denen wir später im Interview erfahren werden.

Das Mädchen ist 22, wie alle Chileninnen habe ich sie mal wieder jünger geschätzt als sie tatsächlich ist. Die Wohnung haben sie und ihr Freund vor kurzem vom Staat zugesprochen bekommen (jede Person wird nach einem Punktesystem bewertet und kann danach für billig Geld eine Wohnung beanspruchen - in einem meiner nächsten Einträge mehr dazu!) und sie leben nun zu dritt mit ihrem 2-jährigen Sohn auf, ich schätze, knapp 50 Quadratmeter Wohnfläche. Wir starten das Interview. Sie will studieren und braucht somit dringend eine Tagesstätte, in die sie ihr Kind während ihrer Lesungen geben kann. Sie klingt sehr optimistisch und der Gesamteindruck der kleinen Familie gefällt mir - immerhin hat es der Vater doch glatt geschafft, nach 2 Jahren mit dem Kind seine Freundin immer noch nicht verlassen zu haben (was hier bei mindestens 70% der Fälle passiert).

Doch dann lässt sie die Bombe platzen: Ihr Freund, als Alleinverdiener der kleinen Familie, ist nur temporär angestellt und bekommt einen Monatslohn von knapp 230.000 Pesos (400 €). Ich verstehe die Welt nicht mehr - wie zur Hölle konnten sie sich all die kostspieligen Möbel leisten, von denen allein der Fernseher mindestens 1.000.000 $ (1600 €) kostet? Nach meinen Berechnung wäre das mindestens 1 Jahr hungern und danach sah die etwas speckige junge Frau definitiv nicht aus. Meine Kolleginnen jedoch nehmen dies zur Kenntnis als wäre überhaupt nichts passiert, während ich glucksend versuche diese Situation zu begreifen.

Der Junge wird angenommen und nach einer kurzen Verabschiedung schweife ich meinen Blick noch einmal durch die Wohnung bevor ich meine Kolleginnen sobald sich die Tür geschlossen hat sofort zur Rede stelle.

Die Erklärung ist schließlich recht einfach: Es gibt in Chile 3 große Kaufhäuser die allesamt ebenfalls ihre eigenen Kreditkarten anbieten. Mit diesen Kreditkarten, mit denen man bis knapp 2.000.000 $ ins Minus gehen kann, ziehen jene Kaufhäuser ihre Kunden in einen Sog lebenslanger Schulden-Abarbeitung. Nun, Ich übertreibe, aber 3 Jahre sind es im Normalfall immer, die ein Minimalverdiener arbeiten muss um z.B. LEBEND einen Plasma-Fernseher abzubezahlen.

Ich beginne das System zu verstehen. Fast jeder Chilene lässt sich schlussendlich von diesen Angeboten locken - die Armen bleiben arm, die noch Ärmeren werden im schlimmsten Fall noch viel ärmer. Was mir bleibt ist ein riesiges Fragezeichen, dass wie wild um die Idee des Materialismus in meinem Kopf herumschwirrt - wo führt das hin?

Un abrazo,

Niclas

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