Donnerstag, 11. April 2013

Interessante Einblicke

Bildung - die meisten Leute verstehen unter diesem so weltbewegenden Begriff einen 10-Stunden-Tag in einem grauen Komplex in einem noch graueren Raum, mit 30 anderen Mitmenschen und einer tapferen Person die versucht, die "wissbegierigen" mittelreifen Jugendlichen über Chemie, Französisch oder Mathematik aufzuklären.

In den knapp zwei Jahren, die ich nun im Ausland verbracht habe, hat sich der Begriff der Bildung und des gebildeten Menschen für mich jedoch drastisch gewandelt. Es geht nicht mehr nur darum zu wissen was der Satz des Pythagoras ist, wie sich DNA vervielfacht, oder was der Hintergrund der Motive des Michael Kohlhaas' waren - ein gebildeter Mensch in unserer heutigen, globalen Zeit ist viel mehr derjenige, der es versteht tolerant, besonnen und zuvorkommen gegenüber jeder ihm womöglich begegnenden Person oder Kultur zu sein; ein Mensch der versteht warum Andere so sind wie sie sind, ihre Verhaltensweisen analysieren kann und gut mit ihnen harmoniert.

Wer diesen Weg zum "gebildeten Weltbürger" einschlägt hat mit diesem Ziel zwar sein ganzes Leben die Hände mit fremden "Vorlesungen", "Hausarbeiten" und "Prüfungen" voll zu tun, kann dabei jedoch Unmengen an wertvollen Erfahrungen für das Leben und den Umgang mit Anderen sammeln und schließlich als ein sicheres und offenes Individuum auftreten.

Den gleichen Pfad werden auch rund 60 chilenische Studenten nehmen, wenn sie im Sommer für ein Jahr nach Deutschland kommen. Da die Universität zu Talca einen sehr innigen Draht zur deutschen Kultur hat (frag' ich mich bis heute warum), wurden alle Deutschland-Auslandsjahr-Anwärter Chiles für 6 Wochen in meine schöne Stadt eingeladen.

Wir, die einen guten Draht zum DAAD-Büro vor Ort haben, wurden auch direkt in den ersten Wochen eingeladen, um den Neu-Deutschen einen kleinen Einblick in unsere Kultur zu geben und - natürlich - mit ihnen auch das ein oder andere Bier zu trinken (sie müssen sich schließlich dran gewöhnen, dass man bei uns mehr Gerstensaft als Wasser trinkt).

Interessanter wurde es, als wir von den 7 am weitesten fortgeschrittenen Schülern für eine Hausarbeit interviewt worden. Wir trafen uns eines Nachmittags an der Uni und wurden in teils gebrochenem, teils erstaunlich gutem Deutsch über die momentane Situation in unserem Land befragt. Hier kleine Ausschnitte der Arbeit, die sie mir haben zukommen lassen:


"Eine kleine Einführung zu meiner Person.."


"Ein Portrait des Interviews (ich bin rechts vorne).."



Neben diversen Zusammenkünften und Parties mit den "Deutsch-Chilenen" wurde es auch auf der Arbeit mal wieder interessant: Diesmal stand die Einweihung eines neuen sog. "Condominios" auf dem Plan. Diese umzäunte Siedlungen von knapp 30 Häusern sind erste Kinderschritte der Regierung, neben den privaten Organisation wie der "Hogar de Cristo" auch mal sozial aktiv zu werden - geleitet wird sie aber wohl trotzdem von uns.

Rund 30 ältere Herrschaften bekommen so eines dieser Häuser bis an ihr Lebensende zugesprochen. Sie haben einen Gemeinschaftsraum, eine Sozialarbeiterin vor Ort und alle anderen Dienstleistungen unserer Organisation (Psychologe, Begleitung falls notwendig etc.). 



An einem warmen Freitagnachmittag versammelten wir uns also zusammen mit den hohen Tieren der Regierung und Funktionären des "Hogar de Cristo" aus der Zentrale in Santiago in besagtem "Condominio", um die symbolische Schleife zu durchschneiden. Maike und Ich waren den ganzen Vormittag damit beauftragt, das Catering nach Vollendung der Zeremonie vorzubereiten und den Anweisungen eines wohl menstruierenden weiblichen Generals der Santiago-Delegation zu folgen.


"Unser wunderschön angelegter Selbstbedienungs-Tisch"

Die eigentliche Zeremonie war ein unerträgliches Lobreden und Klopfen auf die eigene Schulter der Regierungsgesandten aus der Moneda. Wie so vieles in diesem Land, wurde auch dieser Tag als "bahnbrechend" und "historisch für die Sozialarbeit in Chile" anerkannt und die Einweihung als "großes Zeichen gegen Armut" gewertet. Sie scheinen sich wohl noch nicht ganz von der Pinochet-Diktatur erholt zu haben - zumindest was die überschwenglichen Reden betrifft.




Nach der Seligsprechung der neuen Bewohner durch den Pfarrer und das filmreife Zerschneiden der Einweihungs-Schleife, waren alle Beteiligten auch erstaunlich schnell wieder in ihren Autos und auf dem Rückweg nach Santiago. An diesem Tag hatten sie wohl schon "genug Gutes" getan...






Ach, und fast hätte ich noch etwas wichtiges vergessen! Ich arbeite nun offiziell zwei Tage die Woche mit Obdachlosen. Nach einem langen hin und her bin ich nun Montags und Freitags von 18.00-21.00 in der sogenannten "Hospedería" um dort als Freiwilliger aktiv zu werden. Die Obdachlosen bekommen hier ein warmes Essen, ein Bett zum schlafen, einen Fernseher, und gute Unterhaltungen mit uns Voluntarios. Es gibt 15 feste 2-Jahres-Plätze für extreme Fälle, die zusätzlich vom "Hogar" betreut werden und 15 weitere Betten, die man für höchstens 10 Tage beanspruchen kann.

Mein erster Arbeitstag lief bereits sehr vielversprechend. Die erste Stunde mache ich den "Ingresso" - also notiere ich die Namen eines jeden, der die Hospedería betritt und sammle die 300 $ (50 Cent) ein, die die Übernachtung kostet. Wenn die meisten fertig gegessen haben setzen wir uns entweder mit ihnen in den Patio um Neuigkeiten auszutauschen oder gucken zusammen fern. Generell empfinde ich hier ein viel besseren Zusammenhalt innerhalb der Gruppe - ein Verhaltensmuster, dass ich bei den Rentnern sehr vermisse.

Auf der Straße wird mir wohl nun nichts mehr passieren. Meine Präsenz hat sich wie ein Lauffeuer unter den Obdachlosen herumgesprochen und an allen Ecken werde ich herzlich von den verschiedensten Leuten gegrüßt und umarmt - es macht einen riesen Spaß!

Un abrazo,

Niclas

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