Donnerstag, 30. August 2012

Gemischte Gefühle

"Niclas, ich glaube du hast dich hier ein kleeeeeein wenig überschätzt!" - Ein Gedanke, der mich die letzten Tage öfters begleitet hat. Ich dachte meine Erfahrung in den Staaten hätte mich auf dieses Jahr einigermaßen vorbereitet - Pustekuchen. Mein Leben wird hier komplett auf den Kopf gestellt. Ich will auf keinen Fall sagen, dass die Umstände oder Menschen hier daran Schuld sind - es fällt mir nur irgendwie schwerer mich anzupassen. Aber von ganz vorne, damit ihr wisst was ich die letzten Tage so gemacht habe: Am Dienstag hatte ich nicht viel zu tun und war mit Juan bei ihm auf der Uni - welch Deja Vu: Unterricht ist hier genauso beschissen und sinnfrei wie in den USA! Der Lehrer schwafelt so vor sich hin, die Hälfte der Klasse ist mental abwesend und in 1 1/2 Stunden wird ein Arbeitsblatt besprochen. Der einzige Höhepunkt war als ich mich - als "Native Speaker" (aber ich bin doch Deutscher?!?!) von der Lehrerin auserkoren in die Mitte der Klasse setzen durfte und mir Fragen über Deutschland hab ergehen müssen. Nunja, was dabei rauskam waren einige banale Fragen von ungefähr 3 von 30 Leuten in sehr gebrochenem Englisch - ALLE werden mal Lehrer werden...... Am Mittwoch war ich mit Maike und unserer Vermittlerin Macarena (sie heißt wirklich so) im Büro von meiner neuen Arbeitsstelle "Hogar de Cristo". Dort wurden wir außerordentlich freundlich empfangen und hatten einen kurzen Schwatz mit dem Chef. Wie man uns schon prophezeit hatte wird hier viel mit Vorgängern verglichen: Jeder zweite Satz: "Eure deutsche Vorgängerin hier - eure deutsche Vorgängerin da" - aber naja, muss man durch, nächstes Jahr sind wir die Coolen von denen man erzählt. Am Nachmittag waren wir dann noch im Stadtzentrum und haben uns einen Kaffee gegönnt..außer ich, ich hab diesen Schatz hier entdeckt:
Heute war dann der große Tag: Maike und mein erster Arbeitstag im "Hogar de Cristo". Es ist 'ne halbe Weltreise dahin, aber wie ich später rausgefunden habe, muss ich generell erst um halb 10 arbeiten - dienstags und donnerstags sogar erst um 10. KOMMANDO AUSSCHLAFEN! Los ging's mit einer kurzen Vorstellungsrunde und einem kleinen Frühstück mit den Sozialarbeiterinnen - genau rINNEN - ich bin sowas wie der Hahn im Korb (es gibt nichtmal ein Klo für Männer!). Nachdem wir unsere wunderbaren "Voluntario" Kutten bekommen haben (Die Dinger, mit denen man sonst Currywurst am Straßenrand verkauft), ging's los in Sala 2 des Kindergartens. Es gibt hier 6 Salas mit Kindern verschiedener Altersgruppen. Wir dürfen uns am Ende nächster Woche - wenn wir wollen - einen aussuchen. Rein in Sala 2 also und auf ins Gefecht mit 16 1-2 jährigen Kiddies. JA, euer Niclas Gottmann, seines Zeichens nun Kindergärtner aus Überzeugung. Da wäre nur noch, das ich für Kinder das Feingefühl eines 30-jährigen humpelnden Esels habe. Wie frischbedrucktes Falschgeld stand ich also da und das erste Kind (er heißt Andi und ist das ADHS Kind hier) sprang mir schon an den Hals. Was tun Niclas?! Schnelles denken und vorallem RICHTIGES Handeln ist erforderlich. Doch nach kurzer Berührungsangst lief eigentlich alles wie am Schnürchen. Beim Mittagsbubu für die kleinen kamen dann doch erste Zweifel auf. Während ich der Einschlafmusik (Mozart - wie kitschig) lauschte und im Nebenzimmer die Kindergärtnerin sah wie sie einem der Kiddies die Windeln wechselte kam es mir dann doch: Wer bist du, bzw. was ist aus dir geworden und WAS zur Hölle machst du hier eigentlich. Doch dann ist etwas komisches passiert: Genau in diesem Moment wusste ich - Das ist es. Genau das ist es was du gebraucht hast - ein Anstoß zum Erwachsen werden. Das Leben ist nie leicht und man darf sich bei weißgott wieviel Bullshit (wörtlich bezogen auf den Kot in der Windel) auf einem im späteren Leben zukommt (spreche da nicht aus Erfahrung aber kanns mir denken liebe älteren Leser) nicht runtermachen lassen. Ich hab mich Gottseidank gefangen und hatte mein Ziel wieder genau vor Augen. Am Nachmittag waren wir dann bei den liebevoll genannten "abuelitos" (wörtlich: Großelternchen, Großelternleins?!?!), also den älteren Herrschaften die von ihrer Familie kaum oder recht wenig Unterstützung bekommen. Mit denen sind wir dann in die Kirche und hatten einen schönen Gottesdienst - Da wird mir doch von einer der Mitarbeiterinnen ein Zettel in die Hand gedrückt den ich später vorlesen sollte: "Vergib uns Herr, dass wir Leute verurteilen ohne sie genau zu kennen" - Und ich denk mir: Niclas, gibt es was passenderes für dein Handeln in den letzten Tagen? Und ich wusste was ich ändern muss. Auf dem Heimweg wurde es mir dann endgültig klar. Durch die Barrios bei Abendsonne fahrend und leise den Latinoklängen im Radio lauschend wurde es mir klar: Alles ist verdammt nochmal perfekt du Idiot. Abrazos, Niclas

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