Montag, 26. November 2012

Ein Viertel ist rum!

12 Minuten vorbei, der Buzzer tönt, kurze Verschnaufpause, etwas trinken, kleine Verbesserungen in der Taktik vornehmen und zurück hinein es ins Spielgeschehen.

In diesem Fall sind es jedoch - nicht wie im Basketball - 12 Minuten, sondern ganze 3 Monate, die ich jetzt schon in diesem wunderbaren Land am anderen Ende der Welt verbracht habe! Und ganz genau wie ich das befürchtet habe, kommt es mir wie gestern vor, dass ich aus dem Flieger hinein ins Ungewisse trat.

Die Zeit fliegt - ich genieße mein chilenisches Leben so unglaublich, es ist fast schon unheimlich! Meine wöchentliche Routine, meine Arbeit, meine Gastfamilie, meine Mannschaft, meine unzähligen Freunde die ich bis jetzt gemacht habe - sie machen es hier echt unglaublich erträglich ;-)

Deswegen kommt heute, bevor ich meine Erzählungen der Woche beginne ein kleines Zwischenfazit:

Sprache: zu 90% perfektioniert - ein bisschen fehlt im wirklich schnellen und flüssigen Sprechen noch die grammatikalische Stabilität aber verstehen tu ich nun sogar die Ekzessiv-Nuschler.

Gesundheit: Keine Probleme bis jetzt gehabt, während um mich rum die halbe Ausländer-Welt die Kotzerei hatte - Actimel lohnt sich also doch ;-)

Essen: So verdammt lecker aber fettig wie nie! Extra Portion Mayo, Olivenöl und Butter gehören hier zum guten Ton - mit viel Training halte ich meinen Körper aber trotzdem intakt (harte Arbeit :(!)

Die Leute: Trotz vieler Warnungen und Vorurteile sind sie keineswegs so oberflächlich wie man mir das gesagt hatte! Vielleicht ein bisschen faul aber ihr Wort halten sie trotzdem, jedoch mit ordentlichem Zeitpolster ;-)

Meine Arbeit: Macht Spaß, nicht zu stressig und immer wieder voller neuer Lebenserfahrungen und Offenbarungen - Volltreffer!

Nachtleben: 1A! Da Talca die Nr. 1 Studentenstadt Chiles ist (nach Santiago) wird es hier nie langweilig und die Preise sind auf Studenten abgestimmt.

Reisen: Eine Offenbarung - Ich war noch nie an schöneren, magischeren Orten! Und das Beste kommt alles noch!

Spaß: zu 110% am Genießen :-)

So war mein Wochenende auch wieder voll von Ereignissen: Freitags trafen wir uns im Wohnblock einiger Freundinnen von uns, die das Dach für die Nacht gemietet hatten. Ja, wir hatten ziemlich dekadent die Dachterrasse zum Feiern - das gute dabei: für nur 50 Euro!

Mit den 30 engsten Bekannten und einem blinden Passagier, eine kleine Python die ein Mitbewohner mit auf die Party brachte, genossen wir bei ein paar Bierchen und dem ein oder anderen Piscola die wunderbare Aussicht über die in der Dunkelheit grellgelb leuchtenden Dächer Talcas - WOW!

Die Nacht war kurz denn schon um 7 Uhr musste ich aufstehen und meine 7 Sportsachen packen um mit meiner Mannschaft nach Santiago zu düsen: Qualifikationen für die nationale Meisterschaft!

Zu 12 inklusive Trainer machten wir uns auf die knapp 3 stündige Reise zum CEO (Centro de Entrenamiento Olímpico) also dem nationalen Olympia-Stützpunkt in Santiago. Sofort begeistert war ich vom Hallenboden, der gut einem Handballbundesliga-Boden gleich kommen konnte!


Spielen mussten wir gegen den Club "O'Higgins Balonmano" aus Rancuagua, eine Stadt knapp 2 Stunden nördlich von Talca. Es ging um das letzte von 8 Tickets für das Turnier in der folgenden Woche.



20 Minuten aufgewärmt und die Schiedsrichter waren auch schon bereit die Partie anzupfeifen - ich war gesetzt auf Linksaußen. Auch den kleine Adrenalinstoß kurz vor Anpfiff, den ich so vermisst habe konnte ich endlich wieder spüren - es war Zeit für Handball und es ging um Großes!

Zum ersten Mal werden nämlich die chilenischen Meisterschaften ausgetragen und wir als junger Club wollten natürlich zu diesem historischen ersten Turnier dazugehören!

Den Start verschliefen wir völlig und lagen bald mit 3:8 hinten. Es sind diese Momente, in denen du echt am kämpfen bist: gibst du auf oder kämpfst du weiter? Wir entschieden uns im Kollektiv gottseidank für die zweite Option und verschlossen unsere Abwehr regelrecht im nächsten Abschnitt um mit 13:11 in die Pause zu gehen.

Den Vorsprung gaben wir auch nicht mehr aus der Hand und gewannen deutlich mit 29:20. WIR GEHEN ZU DEN MEISTERSCHAFTEN - Das bisher genialste Gefühl meines chilenischen Auslandsjahr!

Und hier sind die Qualifikations-Helden:


Danach ging es zur Entspannung in Richtung Mall für's Gewinner-Essen. Ich verabschiedete mich von meinen Teamkollegen, die sich wieder auf den Weg nach Hause machten und nahm die Metro in Richtung Providencia, wo ich mein Hostel für die Nacht gebucht hatte - den Erfolg musste man schließlich feiern ;-)

Gebucht hatte ich ein 4-Bett-Zimmer, gesteckt wurde ich natürlich in ein nettes (viel) zu kleines 8-Bett Zimmer mit immerhin 3 netten Engländerinnen aber 4 absolut dubiosen älteren Männern. Und natürlich: der Kollege unter mir begrüßte mich schon tief schlafend und lautstark mit seiner Nasentrompete...Einer von 8 muss es schließlich sein, der die Mitbewohner nachts mit in die Schnarch-Hölle entführen muss - na SUPER!

Dem kann nur vorgesorgt werden, in dem man sich vorher das ein oder andere Bierchen gönnt und so traf ich mich mit einigen meiner Ausländer-Freunde in Bellavista zum Abendessen. Nach einer eher unspektakulären Nacht kam ich gegen 3 an mein Hostel. Doof nur: die Tür war zu und Niclas kein Schlüssel - verdammter Idiot. Gott sei Dank kamen mir die Engländerinnen zu Hilfe, die zufällig auch gerade nach Hause kamen. Dann der nächste Coup - meine Sachen lagen auf einmal auf einem anderen (UNGEMACHTEN) Bett und irgendein anderer sich in den besten Jahren befindende alte Sack hatte es sich in meinem Bett bequem gemacht. Ich entschied mich ausnahmsweise gegen mein deutsches Rechthaber-Temperament (dafür war ich nun eh zu müde und wollte den Rest nicht aufwecken) und legte mich schweren Herzens in mein neues, ungemachtes Bett - besser konnte es kaum laufen!

Froh war ich, als ich Sonntag morgens aus dem Hostel fliehen konnte und mich auf den Rückweg nach Talca begab. Abends ging es noch zu einer deutschen Freundin, die ihren Abschied aus Talca feierte. Das leckere Asado war definitiv eine Entschädigung für die eklatante Nacht die ich hinter mir hatte (man bedenke außer Schnarcherich unter und Bettvertauscher neben mir noch den um 5 morgens völlig zerzaust und besoffenen 50 jährigen Mann, der in unser Zimmer kam und sich einfach in irgendein Bett lag). 

Der Aufregung nicht genug hatten wir den Montag danach auch den bisher ereignisreichsten Arbeitstag im Hogar de Cristo: Als wir gemütlich beim Mittagessen im Büro meiner Chefin saßen, trat auf einmal ein völlig verunsicherter und den Tränen naher Mann um die 40 ein. Als wir ihn beruhigt und hingesetzt haben begann er uns eine Geschichte zu erzählen von wegen er wurde von seinem Vater jahrelang eingesperrt und vergewaltigt. Heute Nacht hätte er ihm Schlafpillen in den Tee gemacht und wäre irgendwie geflohen und wolle jetzt im Bus nach Puerto Montt (12 Stunden) zu seiner Mutter fahren um mit ihr zu leben. Wir waren kurz davor ihm das Geld zu geben (er ratterte mir sogar die Adresse der Mutter in sekunden-schnelle auf, als ich ihn fragte ob er überhaupt wüsste wo er hin muss) als unsere andere Chefin eintrat und ihn enttarnte: Ein dreister Lügner!

Das Schlimme ist echt: man fällt so leicht darauf rein...Armut und Elend sind hier so präsent, dass es viele Menschen ausnutzen um selber davon Profit zu machen.

Als danach im Kindergarten auch noch ein Kind verloren ging war die Aufruhr natürlich perfekt. Es wurden Polizei und Sicherheitsdienst alarmiert, bis die Mutter völlig beruhigt im Kindergarten anrief und entwarnte: der Junge ist von alleine und unbemerkt vom Kindergarten nach Hause gelaufen.....Er ist zwei.

Wie ihr merkt ist hier ordentlich was los und auch vieles, was mein an Ordnung gewöhntes deutsches Gehirn ordentlich strapaziert. Doch: Es ist die Erfahrung definitiv wert - in manchen Situationen wäre es vielleicht auch für uns Deutsche mal gar nicht so schlecht, Sachen eher mit Humor als mit zu viel Ernsthaftigkeit zu nehmen wie ich gelernt habe ;-)

Mit dieser Moral von der Geschicht verabschied ich mich

Un Abrazo, Niclas

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