Montag, 19. November 2012

Creamfields!

Chile. Ein Land mit knapp 4000 Kilometern Länge von Norden nach Süden - die Strecke Hamburg nach Bagdad...Und doch leben rund 8 Millionen der 17 Millionen Chilenos in der Metropolregion rund um Santiago!

Für den normalen Deutschen ist eine Strecke von knapp 300 Kilometern schon eine quälende, an den Nerven zehrende Reise - zumindest im kleinen PKW, am besten noch mit einem der Sorte "Möchtegern-Fahrlehrer" auf dem Beifahrersitz, der einen peinlichst genau auf jedes kleine Schlagloch oder Verkehrszeichen in unmittelbarer Sichtweite hinweisen muss. 

Ich muss euch sagen, ich könnte nicht glücklicher darüber sein, dass ich "nur" 3 Stunden vom Dreh- und Angelpunkt allen Lebens hier in Chile - Santiago - entfernt bin. Hinzu kommt die angenehme Busreise inklusive Snack, Getränk und vieeeeel Beinfreiheit. 

Dieses Mal lockte mich das Festival "Creamfields" in die Hauptstadt, zu dem unter anderem Künstler wie David Guetta, Calvin Harris und Alesso erscheinen sollten. Hier schon mal eine Vorwarnung an die ältere Leserschaft: diesen Beitrag kann ich leider nicht anders als in Jugendhyroglyphen verfassen - Verzeihung ;-)

Mein erstes lateinamerikanisches Konzert also - viel anders als ein europäisches bzw. amerikanisches kann es ja kaum werden! Doch was haben wir gelernt bis jetzt? Genau - Pustekuchen, es kommt hier immer anders wie man denkt.

Da wäre zum Einen die aus Deutschland angeborene Paranoia, 3 Tage nach Ticketfreigabe schon keine Chance mehr zu haben einer der begehrten Eintrittskarten zu ergattern. Wie ich inzwischen erfahren habe machen sich die Chilenen beim Kartenbestellen jedoch genauso viel Stress wie bei ihrer Bürokratie - nämlich gar keinen! Entscheidungen, Fakten, Tatsachen - Deutsche Tugenden die Chilenen eher als lästigen Nebengeschmack des entspannten Lebens empfinden bekommen somit wenig Aufmerksamkeit.

So konnte ich aber immerhin mein Ticket auch noch 2!!!! Wochen vor dem Termin ohne Probleme kaufen, als dann auch feststand, wer mich zu dem Festival begleiten würde - alleine wollte ich schließlich nicht gehen.

So traf ich mich Freitagmittags (ich hatte den Tag zum Reisen frei bekommen) mit meinem guten alten Freund Robin, der erst die vorherige Woche in Chile angekommen war um auch für ein halbes Jahr dieses verrückte kleine Völkchen kennenzulernen.

Nach einem kurzen Bierchen auf der Terrasse des Hostels in dem ich untergebracht war, machten wir uns per U-Bahn und Taxi auf in Richtung Norden Santiagos, wo auf einem Kieselstein-artigen Platz das Festival stattfinden sollte. 


Die ersten Künstler auf den 5 Bühnen sollten schon gegen 19:00 anfangen. Wir waren gegen knapp 20:30 da und es herrschte immernoch gähnende Leere, sogar in den ersten Rängen der Main-Stage. Nun, wer in Deutschland schon mal auf einem Konzert einer bedeutenden Band war weiß, dass dort bereits ab 12:00 der Krieg um die besten Plätze in der ersten Reihe beginnt - man muss sie lieben, die Chilenen, für ihre innere Ruhe!



Nachdem Robin und ich noch rund 2 Stunden über die verschiedenen Venues schlenderten und uns den ein oder anderen Piscola gönnten (auch gern mal wieder 7 Euro hier!!!), reihten wir uns immernoch GAAANZ gemütlich in Reihe 4(!!!!) in der Main-Stage ein. Gegen 23:30 sollte nämlich dort Calvin Harris als erster Headliner die Bühne rocken. 

Tatsächlich füllte sich alles auch erst kurz vor halb 12 und es konnte endlich losgehen! Zur Belustigung trug dann noch der süße Sprachfehler eines jeden hispanohablante bei: Anstatt Calvin "Cälvin" auszusprechen, wurde daraus ein Chor aus "Calwien" und ich wäre am Liebsten vor Fremdscham im Kiesel versunken - man kann doch wenigstens VERSUCHEN den Namen richtig auszusprechen!

War egal - er rockte das Ding! Wir natürlich auch:



Nach zwei Stunden springen, schwitzen und pfeifen ging Calvin von der Bühne und man baute die selbige für Top-Act David Guetta um...Die Beine schon etwas schwer, aber mit immer noch viel Lust auf gute Beats warteten wir geduldig auf jenen Herren Franzosen.



Um ein Fazit nach diesen folgenden 2 Stunden zu ziehen: Ich hab' ihn jetzt einmal gesehen - und das reicht. Wer alle zwei Sekunden entweder auf dem DJ-Pult steht oder sein iPhone rausholt um Bilder von der Crowd zu machen, hat wohl vorher eine CD eingelegt, anstatt die Regler an den Turntables ordentlich zum Glühen zu bringen. Auch die Dudelei die er uns vorspielte gefiel meinen Lauschern lang nicht so gut wie das Programm des Herren Harris. Wer die Show dann noch mit einem Remix von OASIS' genialem, aber leider inzwischen sehr verkitschten und ausgelutschten Welthits "Wonderwall" abschließen muss, dem sieht man die Dollarscheine in den Augen schon aus 1 Kilometer Entfernung an - oder aus der vierten Reihe, so wie ich. Naja, erlauben kann er es sich!

Nach knapp 7 Stunden Schulter an Schulter suchten wir auch erst einmal die weiten des Festivals, halb verdurstend außerdem auch noch eine Flasche Wasser für die wir happige 3 Euro bezahlen durften. 

Nach einer kleinen Stippvisite bei Fedde LeGrand machten wir uns gegen 5 auf den Heimweg. Schwerer als gedacht - schließlich wollten knapp 10000 Leute auch nach Hause! Los ging die Schlacht um die wertvollen Autos mit gelben Dächern. Glücklicherweise schließen wir uns einem komplett merkwürdigen Engländer an, der mit seiner penetranten Art und Weise irgendwie ein Taxi für uns besorgen konnte (er musste in die gleiche Richtung). Erschöpft aber glücklich kam ich dann gegen 5:30 morgens in mein Hostel und ließ mich in mein kühles, extrabreites Bett fallen.

Entsprechend (und dank der dunklen Gardinen) fing mein nächster Tag dann auch erst gegen 14:00 an - und wie! Unter der Dusche begrüßte mich im Halbschlaf nämlich ein gut gebauter Achtbeiner direkt vor meinem Gesicht an der Wand. In der Manier eines Wasserwerfers a la Stuttgart 21 Protest konnte ich den ungebeten Gast aber schnell in Richtung Abfluss befördern - es hätte ja einer der Sorte "Araña de Rincón" sein können (die einzige tödliche Spinnen-Art in Chile)!

Da ich bis zum Sonnenuntergang nichts zu tun hatte und alle meine Santiago-Amigos zu tun hatten, schlenderte ich selbst ein bisschen durch die Stadt und besuchte mal wieder die übergroße Mall.

Zurück im Hostel lernte ich einen deutschen Freiwilligen aus Bolivien kennen, dem ich kurzerhand versprach - da er großen Hunger mitbrachte - die chilenische Cuisine auszukosten. Also ging ich mit ihm in den netten kleinen Laden nebenan, der sich original "Kleine Kneipe" nannte und bestellte ein Chorillana (wisst ihr noch, das Ding mit Fleisch, Pommes und Eiern?). Dazu gab es zu unserer Überraschung WEIZEN AUS DEM ZAPFHAHN. Es war eine Offenbarung und eine Wohltat für meine von Pils geschundenen Bier-Geschmacksnerven!

Kurz darauf ging es zu Freunden zur Previa, bevor wir uns auf nach Las Condes machten, wo wir das Nachtleben mal kennenlernen wollten. Und hier wieder Erlebnis der Sonderklasse: 

Ich war mit 3 Deutschen im Auto vorgefahren, ein Chilenischer Freund saß im Taxi hinter uns. Wir hielten ungefähr zur gleichen Zeit vor dem Club und so kam der Chilene direkt an unser Taxi und fragte wieviel wir denn bezahlt hätten. Als er bemerkte, dass er uns (da wir ein reines Ausländertaxi waren) 3000 Pesos (5 Euro) mehr abgezogen hatte, stellte er sein Bein in jenes Taxi und kündigte dem Fahrer an, er würde wegen Betrug nun die Polizei rufen. Was folgte war unglaubliche Skrupellosigkeit, als der Fahrer ruckartig auf Vollgas trat, und unser Chilenischer Freund über die Straße geschleudert wurde. Er hatte ein verdammtes Riesen-Glück, das keine Autos auf der Fahrbahn waren - sonst wäre er ganz schnell Stoßstangen-Futter geworden....Leider zählt hier nunmal jeder Peso für manche Menschen, was sie zu solch widerlichen Aktionen führt.

Den Schock verdaut und noch ordentlich gefeiert, ging es am nächsten Tag zurück nach Talca - eine Woche voll von Arbeit, einer lustigen Cumbia-Studentenparty am Mittwoch-Abend und Training stand an! Den folgenden Samstag sollte es nämlich abermals nach Santiago gehen um ein Qualifikationsspiel für die nationalen Meisterschaften im Handball zu spielen!

Davon berichtet man aber das nächste Mal, denn der Herr ist müde ;-)

Un abrazo, Niclas

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