Freitag, 29. März 2013

Feliz Navidad, prospero año y felicidad...

Die Nächte werden länger, die Temperaturen purzeln in Tiefen, die so manchem von uns die Motivation raubt, sich überhaupt morgens aus dem Bett zu hieven und generell flucht jeder über das typische Heielberger "Schmuddel-Winter-Wetter".

Trotzalledem kommt er so langsam: Der Duft von saftigem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, frischgebackene Plätzchen zuhause und die zwar minimale, aber zweckerfüllende Weihnachtsdeko der traditionsfaulen deutschen Bevölkerung lässt den Geist der Weihnacht Stück für Stück zum Leben erwecken.

Um ehrlich zu sein, hatte Ich so ein bisschen Probleme bei 35°C und langen 16-Studen-Tagen in Weihnachtsstimmung zu kommen. Nichtsdestotrotz beginnt in Chile in der Zeit nach dem dritten Advent ebenfalls der ganz normale Weihnachtswahnsinn: Von den Dächern hängen bärtige, dicke Männer mit rot-weißen Roben, das Wohnzimmer wird mit dem aus dem Keller geholten Plastik-Tannenbaum ausgestattet, und es dudeln die wohlbekannten Weihnachtslieder aus allen Ecken. Zur Abwechslung wurden jedoch meine Ohren nicht mit Mariah Carey's "All I want for Christmas" oder Wham!'s "Last Christmas" gefoltert, sondern haben die Südamerikaner neben "Feliz Navidad" ihre eigenen 5-6 Gehörgang-Vergewaltiger, die in Dauerschleife durch Radios und Einkaufshallen zum Besten gegeben werden. Dies alles jedoch bei stechendem Sonnenschein, Flip-Flops und kurzer Hose zu erleben fühlte sich so ziemlich seltsam an.

Auch auf unserer Arbeit hielt die Weihnacht so langsam ihren Einzug. Maike und Ich bastelten für die süßigkeitssüchtigen älteren Herrschaften einen Adventskalender mit kleinen Schoko-Bonbons. Jeden Tag durfte so ein glücklicher Teilnehmer ein Türchen samt Bibelspruch in Empfang nehmen. Neben dem geschmücktem Tannenbaum klebten wir einen riesigen Weihnachtsstern, auf den Alle ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft schrieben, an die Wand.

Schon am 19. Dezember mussten wir jedoch Weihnachten in der Tagesstätte feiern, da Weihnachten schließlich dieses Mal auf einen Dienstag fiel und wir ein langes Wochenende zugesprochen bekamen!
Mit Brille, Kissen unter'm T-Shirt und rot-weißem Bommelhut auf dem Kopf hatte ich sogar die Ehre den "Viejo Pascuero", den Weihnachtsmann, für die "Abuelitos" zu mimen.

In der Vorwoche hatten wir bei verschiedenen Unternehmen, unter anderem der Polizei, nach Geschenk-Spenden für die Teilnehmer unseres Programmes gefragt, und ich durfte jene nun überreichen. Wie brave Kinder bedankte sich jeder "Opi" und jede "Omi" mit einem Lächeln bei mir mit "Muchas Gracias, Viejito Pascuero" und riss in der gleichen Manier sofort neugierig sein Geschenkchen auf. Der leckere Weihnachtsbraten für alle rundete den schönen Nachmittag erflogreich ab.

Das größte Geschenk machte mir jedoch José Bello, ein Teilnehmer, der die Woche zuvor von seiner Familie aus seinem Haus geschmissen wurde und seitdem auf der Straße leben musste. Ich hatte in dieser schweren Zeit immer ein offenes Ohr für ihn und tröstete ihn wenn er mal wieder total von der Situation überfordert in Tränen ausbrach. Er schenkte mir nach dem Mahl eine selbstgemachte Karte mit den Worten: "Die Familie ist das wichtigste Gut, pass immer auf sie auf und bete täglich dafür, dass sie intakt und erhalten bleibt. Danke für Alles." Zusammen mit den Worten, die er mir in der Karte gewidmet hatte überkam mich ein starkes Wechselbad der Gefühle. Zum einen hatte ich gerade das wahrscheinlich wunderbarste Weihnachtsgeschenk meines Lebens erhalten, jedoch wusste ich auch um die traurige Tatsache, dass José Bello diese Weihnachten alleine feiern musste.




Natürlich ist Weihnachten nichts ohne den dazugehörigen Kirchengang vor der Bescherung inklusive Krippenspiel. Am Tag vor Weihnachten lud mich Juan ein, mit in die Kirche unserer Cousine zu kommen und das Weihnachtsfest auf religiöser Ebene zu beginnen. Ich bin der Meinung, dass jeder seinen Glauben ausdrücken sollte, wie er es als richtig empfindet. Deswegen werde ich nun auch ganz nüchtern von diesem Kirchengang berichten - ohne Witz, ohne Sarkasmus!

Die heilige Stätte der Gemeinde, in der wir also den weihnachtlichen Grundstein legen wollten, war nicht etwa eine klassische Kirche, sondern ein kleines Event-Center, das mit Plastikstühlen für das Publikum zugestellt war. Nach einem kurzen Einleitungsfilm über Jesu' Opfer, begann ein Theaterstück, dass sich mit Gott im Alltag beschäftigte. Gefolgt wurde dies von zwei Künstlern, die singend und rappend Lieder der Weihnacht sangen. Eine unterhaltsame Stunde war bereits vergangen als die Pfarrerin, eine normal gekleidete, kurzhaarige kleine Frau, die Bühne betrat. Die folgende Stunde referierte sie teils flüsternd, teils hysterisch kreischend über Gott und alltägliche Mandate. Überall im Raum hörte man immer wieder Zurufe der Teilnehmer, bis sich die komplette Gemeinde - außer Ich - bei rich repetierender, psychodelischer Musik und dem lauten Schreien der Pfarrerin folgend vorne am Altar einfand. Wie in Trance rissen sie die Hände hoch und schwangen im Takt der Musik. Vereinzelt fingen Frauen an zu weinen, Männer riefen jubelnd durch den Saal. Für mich, der den ruhigeren Gottesdienst aus Deutschland gewöhnt ist, war es nach 2 Stunden dann doch genug und wir machten uns auf den Nachhauseweg.

Heiligabend begann ruhig, wahrscheinlich auch aus dem Grund, dass es erst gegen 22:00 Uhr so richtig dunkel wurde. Die Familie - Juan, meine Gasteltern und Ich - eröffneten gegen 23:00 Uhr das Banquet und erfreuten uns an lecker gebratenem Fleisch und Kartoffelsalat. Die chilenische Tradition erlaubt es erst um Mitternacht die Geschenke zu öffnen, womit wir noch ein bisschen Zeit hatten die sich nun langsam, im Licht der Tannenbaumbeleuchtung, endlich aufbauende Weihnachtsstimmung zu genießen.





Nach der Bescherung - ich sahnte ein Badehandtuch der chilenischen Nationalmannschaft ab - machten wir uns auf den Weg zum Haus des Opas, wo sich die ganze Familie einfand um zusammen zu feiern. Dort wichtelten wir bei ein paar Gläsern Wein noch die mitgebrachten Geschenke aus und genossen schließlich das friedliche Zusammensein bis in die Morgenstunden.






Ich habe etwas wichtiges gelernt von meiner chilenischen Weihnachtserfahrung: Es müssen nicht unbedingt die äußerlichen Umstände geschaffen sein um die so einzigartige Weihnachtsstimmung zu erzeugen. Es ist das Teilen, Zusammensein, Erfreuen, Genießen und Schätzen der menschlichen Gesellschaft, die man um sich hat. Nichts ist erfüllender aks Nächstenliebe - egal in welcher Zeitzone, egal in welchem noch so kleinen, versteckten Fleckchen der Erde.

Frohe Weihnachten,

Un abrazo, Niclas

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